Internationale Versicherungsprogramme

– Herausforderung und Chance für den Mittelstand

 

Die Wirtschaft in Deutschland stützt sich in signifikantem Umfang auf den traditionell starken Mittelstand. Die Unternehmenslandschaft ist geprägt durch zahlreiche Familienunternehmen aus allen Wirtschaftsbranchen. Die Geschäftsmodelle wurden in den letzten Jahren zunehmend internationalisiert. Mittelständische Industrieunternehmen unterhalten bei Beschaffung und Absatz internationale Geschäftsbeziehungen und sind vielfach mit eigenen Tochtergesellschaften in einem oder mehreren Ländern vertreten.

Diese anhaltende Internationalisierung stellt mittelständische Kunden seit vielen Jahren auch bei der Risikobewältigung vor neue Herausforderungen, denen sich die multinationalen Großkonzerne bereits vor Jahrzehnten gegenübersahen:

  • Grundsätzliche Feststellung des Bedarfs an internationalen Lösungen;
  • Ziele der internationalen Risiko- und Versicherungsphilosophie;
  • Weltweite Risikoerhebung und -Evaluierung;
  • Festlegung der Versicherungsstrategie und Erstellung eines dementsprechenden Konzepts (Kombination aus internationalen und lokalen Lösungen);
  • Ausschreibung der internationalen und lokalen Lösungen;
  • Auswertung der Ausschreibungsergebnisse;
  • Umsetzung der bevorzugten Angebote (Kommunikation);
  • Administration, Kontrolle und laufende Anpassung sowie Schadenfälle.

Dabei hat der Mittelstand in der Regel keinen hauptberuflichen Risikomanager.

Eigentlich stellt sich die Frage nach dem grundsätzlichen Bedarf nicht. Der Familienunternehmer wird alles tun, um die Familieninteressen sowie das Familienvermögen zu schützen und damit für den Fortbestand des Unternehmens sorgen. Dort, wo Risiken nicht ausgeschlossen werden können, wird er also untersuchen in welchem finanziellen Ausmaß sich diese Risiken auswirken können und für einen adäquaten weltweiten Risikotransfer Sorge tragen. Für den angestellten GmbH-Geschäftsführer oder Vorstand einer Aktiengesellschaft ergibt sich diese Verpflichtung aus GmbH- bzw. Aktiengesetz (auch in Zusammenhang mit dem Anstellungsvertrag, der Satzung u.v.m.). So sind beide verpflichtet, in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden. Diese Verpflichtung nimmt ein angemessenes und wirksames Risikomanagement mit ein.

Auf dieser Grundlage ist es unerheblich, in welcher Region oder in welchem Land sich ein Risiko realisiert und zu einem Schaden führt und ob dieser bei Mutter-, Tochter-, Enkelgesellschaften, bei einem Zulieferer oder Abnehmer eintritt. Entscheidend für die Beurteilung ist zunächst das Schadenpotential und die Auswirkung auf das gesamte Unternehmen.

Das Ziel ist dabei zunächst denkbar einfach: Alle Auswirkungen, die nicht selbst getragen werden können oder selbst getragen werden sollen, werden auf geeignete Institutionen transferiert.

Dementsprechend muss sichergestellt werden, dass neben der Muttergesellschaft auch alle weltweiten Tochter- und Enkelgesellschaften den definierten Mindestlevel in der Absicherung erreichen. Das steuert man idealerweise über die internationalen Versicherungsprogramme, die zentral verhandelt und implementiert werden. Da nicht zu allen Sparten weltweit Programme umsetzbar sind, benötigt man darüber hinaus in jedem Sitzland einen Ansprechpartner, der risiko- und versicherungsrelevante Informationen zusammenträgt, aufbereitet und zur Verfügung stellt. Auf dieser Basis können dann nicht programmfähige Versicherungen vorgegeben werden, welche die Erreichung des Ziels sicherstellen.

Schöner Nebeneffekt: unnötige Versicherungen oder solche, die Schäden abdecken, welche nach der zentralen Versicherungsphilosophie selbst getragen werden sollen, verschwinden dauerhaft aus dem Versicherungsportfolio.

Ergo: Durch internationale Programme wird weltweit ein einheitliches Mindestmaß an Versicherungsschutz hergestellt, das dem Standard der Muttergesellschaft entspricht. Gleichzeitig werden kleinere Schäden unter Berücksichtigung des Kosten-Nutzen-Prinzips selbst getragen, was zu einer weiteren Kostenoptimierung führt. Außerdem ist sichergestellt, dass man allen lokalen versicherungstechnischen und rechtlichen Besonderheiten gerecht wird.

Bevor wir uns mit einem wie auch immer gearteten Versicherungskonzept beschäftigen, bedarf es einer weltweiten Risikoerhebung und -Evaluierung. Sofern dies erstmalig geschieht, empfiehlt es sich aus Praktikabilitätsgründen die Untersuchungsbereiche zentral vorzugeben und darüber hinaus zu erheben, welche Pflichtversicherungen in den Ländern, in denen das Unternehmen eigene Interessen unterhält vorgegeben sind. Gleichzeitig sollten die Töchter und Enkel Versicherungsübersichten über alle Verträge und Vertragszusammenfassungen der wesentlichen Versicherungsbereiche liefern, damit in der Folge ein Soll-Ist-Abgleich erstellt werden kann.

Vor Ort sind dann Betriebsbegehungen und Risikodialoge mit den lokalen Ansprechpartnern durchzuführen und die Ergebnisse entsprechend aufzubereiten sowie an die Unternehmenszentrale zu kommunizieren.

Ist die Gesamtrisikolage der versicherbaren Risiken erarbeitet und transparent gemacht, wird untersucht, welche Risiken technisch und/oder organisatorisch verhindert oder reduziert werden können und welche Risiken der Höhe nach versicherungswürdig erscheinen. Hieraus ergibt sich die Versicherungsstrategie. Unter Berücksichtigung dieser Strategie gilt es nun, entsprechende Versicherungsprogramme zu konzipieren. Klassische Programmversicherungssparten sind die Betriebs-, Produkt-, Umwelthaftpflicht- und Umweltschadenversicherung bis hin zu den Kfz-Zulieferer-Deckungen und die Sach- und Betriebsunterbrechungsversicherung.

Aufgrund der anhaltenden Globalisierung entwickelten sich Programmlösungen auch in weiteren Versicherungssparten, u.a. in der Transport-, D&O- und technischen Versicherung (Maschinen-, Maschinen-BU-, Montage-/Garantie-Versicherungen).

Mitte bis Ende der 1990er-Jahre halfen sich die Unternehmen bereits vielfach mit so bezeichneten “koordinierten“ Versicherungsprogrammen. Dabei übernehmen die Versicherer der deutschen Muttergesellschaft im Anschluss an bestehende lokale Grunddeckungen auch den Versicherungsschutz, der bedingungs- und/oder summenmäßig über diese hinausgeht. Ein wesentlicher Nachteil besteht hier darin, dass man nur geringe oder keine Einflussmöglichkeiten auf die lokalen Grunddeckungen hat und in Schadenfällen mehrere Versicherungsgesellschaften am Tisch sitzen.

Heute sind auch für mittelständische Unternehmen “integrierte“ internationale Versicherungsprogramme das weltweit probate Mittel zur Risikobewältigung, die erforderlichenfalls auch mit “koordinierten“ Lokalpolicen kombiniert werden können. Die “integrierten“ Programme beinhalten neben dem Mastervertrag in Deutschland für die Niederlassungen und Tochter-/Enkelgesellschaften im Ausland lokale Policen mit abgestimmten Bedingungen und Prämien, heute zumeist auf Basis “best local standard“. Das bedeutet, alles was grundsätzlich versicherungswürdig und im jeweiligen Land versicherbar ist, wird in der Lokalpolice versichert. Das was noch darüber hinaus geht, wird über den Mastervertrag abgesichert und entschädigt.

Bei der Programmkonzeption ist es zwingend erforderlich für alle Länder zu prüfen, ob aufsichts- oder versicherungsrechtliche Regelungen derartige Lösungen untersagen oder einschränken. Beispielsweise China, Indien, Brasilien oder die Schweiz verbieten Versicherungsschutz für in diesen Ländern belegene Risiken aus dem Ausland. Andere haben Tarifmärkte für bestimmte Risiken eingerichtet, z. B. Erdbeben in der Türkei oder Japan. Für diese Spezifika müssen bei der Programmkonzeption innovative rechtskonforme Lösungen aufgelegt werden.

Innerhalb der EU ist die grenzüberschreitende Versicherung (Freedom of Services = FOS) zulässig, aber nicht immer das beste Mittel. Es gibt in einigen Ländern Spezialitäten in Lokalpolicen, die inhaltlich wirtschaftlich sinnvoll und rechtskonform nicht in FOS-Deckungen abgebildet werden können, z. B. tenants liability/neighbours recourse in Italien (Mieter- und Nachbarschaftshaftpflicht) Terror- und/oder Naturkatastrophen-Pools in Spanien und Frankreich, decennale Haftung in Frankreich. Auch die Administration ist im Rahmen von Lokalpolicen häufig weniger aufwendig.

Sofern man sich bei diesen zahlreichen Aufgabenstellungen eines Versicherungsmaklers bedient, sind an diesen auch gerade die internationalen Anforderungen gestellt, eine weltweit einheitliche Betreuung zu liefern und weltweit über adäquates Knowhow zu verfügen. Reine Größe und Internationalität helfen hier nicht immer weiter, da die Auslandsgesellschaften der mittelständischen Industrie häufig deutlich kleiner sind als die Muttergesellschaften in Deutschland. Damit liegen diese Auslandsgesellschaften vielfach nicht im geschäftlichen Focus einiger Marktteilnehmer. Man sollte also auswählen, wer zu einem passt.

Im nächsten Schritt erfolgt die Ausschreibung der entwickelten Konzepte. Dabei sollten nationale und internationale Versicherungsmärkte berücksichtigt werden. Bei speziellen Fällen ist es unter Umständen auch zwingend notwendig die Möglichkeiten z. B. des Londoner Marktes zu prüfen. Die nicht programmfähigen Versicherungen und die lokalen Pflichtversicherungen werden im jeweiligen Land vom Maklerpartner ausgeschrieben.

Leider sind nicht alle in Deutschland zugelassenen Versicherer in der Lage internationale Versicherungsprogramme aufzulegen und zu administrieren. Das schränkt die Marktmöglichkeiten ein. Durch die jüngeren Fusionen und Übernahmen, z. B. Chubb und ACE sowie AXA und XL, hat sich die Situation verschärft bzw. wird sich die Lage weiter verschärfen. Um bei diesen Marktgegebenheiten bedingungs- und preismäßig die besten Möglichkeiten zu nutzen kann bei der Konzeption auch mit zwei unterschiedlichen programmführenden Versicherern gearbeitet werden, die sich im Inland und im Ausland wechselseitig beteiligen.

Für die zentrale Unternehmensleitung werden sämtliche Ergebnisse in einer Auswertung zusammengefasst, die als Entscheidungsgrundlage für die Auswahl der finalen Versicherungsprogramme und der passenden Versicherungsgesellschaften dient. Hier ist ein Ampelsystem hilfreich, welches den Überblick darüber vermittelt, ob die als versicherungswürdig erachteten Risiken vollständig abgedeckt sind und ob darüber hinaus allen lokalen rechtlichen und versicherungstechnischen Besonderheiten Rechnung getragen wird.

Sind die grundsätzlichen Entscheidungen getroffen, erfolgt die Umsetzung der internationalen Versicherungsprogramme weltweit. Diese Implementierung erfordert eine sehr ausgeprägte weltweite Kommunikation und Kontrolle. Alle Beteiligten, das sind in jedem Land die jeweiligen Ansprechpartner bei den Tochter- und Enkelgesellschaften sowie bei den ausgewählten Versicherungsgesellschaften sowie etwaigen Maklerfirmen, müssen dementsprechend mit sämtlichen relevanten Informationen versorgt werden. Um eine fehlerfreie und vollständige Dokumentierung zu erreichen, ist eine gleichlautende Information aller Beteiligten von großer Bedeutung. Auch hier sind in vielen Ländern besondere Verfahrensweisen und Gepflogenheiten zu berücksichtigen. Es gibt zum Beispiel Länder, in denen die Prämie gezahlt werden muss, bevor ein versicherungsvertragliches Leistungsversprechen erteilt wird (cash before cover). Informationen über derartige Besonderheiten sind selbstverständlich im Rahmen der Untersuchung im Vorfeld zu beschaffen. Mittelständische Industrieunternehmen greifen dabei größtenteils auf das Knowhow eines qualifizierten Versicherungsmaklers zurück. So greifen heute auch viele multinationale Großunternehmen auf Netzwerke von Versicherungsmaklern zurück, die ihre Versicherungsinteressen im Inland von einer eigenen Versicherungsmaklergesellschaft wahrnehmen lassen (firmenverbundene Vermittler FVV). Es werden in der Folge dann zwei Kommunikationskanäle genutzt: Die zentrale des Industrieunternehmens informiert die Ansprechpartner der Tochter- und Enkelgesellschaften oder Niederlassungen und der Versicherungsmakler informiert seine Netzwerkpartner im jeweiligen Land. Diese sorgen dann bei den Versicherern für die Dokumentierung der zentral verabschiedeten Versicherungsverträge (Programm- und Lokalpolicen) und prüfen diese auf Richtigkeit, wenn die Ausfertigung vorliegt. Damit ist die fachkundige Kontrolle sichergestellt und der Aufwand im Industrieunternehmen deutlich reduziert.

Nach der erstmaligen Dokumentierung der verabschiedeten Programm- und Lokalpolicen erfolgt die Administration und laufende Anpassung. Dem Grunde nach erfolgt dies so, wie auch in Deutschland. Im Rahmen von regelmäßigen strukturierten Gespräche werden die seinerzeit erhobenen risiko- und versicherungsrelevanten Informationen turnusmäßig hinterfragt. So werden Veränderungen identifiziert. Dabei kann es sich um Veränderungen von industriellen Prozessen, Produkten, der Gebäude und Anlagen selbst, um betriebswirtschaftlich relevante Veränderungen aber auch um Veränderungen im Umfeld, die auf das Industrieunternehmen einwirken handeln. Entscheidend ist, dass die zentrale Unternehmensleitung in Deutschland diese Informationen erhält, um die etwaig erforderlichen Anpassungen der internationalen Versicherungsprogramme vorzunehmen. Zur Sicherstellung des Informationsflusses hat es sich bewährt, neben den Gesprächen vor Ort regelmäßige Abfragen vorzunehmen. Auch die Überwachung von Fristen der versicherungsvertraglichen Obliegenheiten sollte zentral durchgeführt werden. Hierdurch wird erreicht, dass der Versicherungsschutz weltweit uneingeschränkt intakt besteht.

Im Fall von größeren Schadenfällen (Eigenschäden und Ansprüche), ist es sinnvoll bereits frühzeitig den Mastervertrag anzusprechen. So ist sichergestellt, dass die Abwicklung im Sinne und Interesse der Muttergesellschaft in Deutschland abgewickelt wird. Das kann z. B. die Einschaltung von bewährten Sachverständigen und anderen Beratern mit einnehmen. Somit besteht Sicherheit, dass die Risiken weltweit nicht nur nach einheitlichem Standard gedeckt sind, sondern auch die Qualität der Schadenregulierung weltweit einheitlich ist.

Fazit: Um den Wünschen und Bedürfnissen hinsichtlich Sicherheit und Kosten bestmöglich gerecht zu werden ist für international operierende mittelständische Unternehmen die Internationalisierung des betrieblichen Versicherungswesens unumgänglich. Aufgrund der hohen Komplexität, dem umfassenden Bedarf an risiko- und versicherungstechnisch relevanten Informationen und dem internationalen Knowhow zu den länderspezifischen Besonderheiten empfiehlt sich auf diesem Gebiet die Zusammenarbeit mit einem professionellen internationalen Partner. Eine solche Kooperation hält den Aufwand im Unternehmen möglichst gering und eröffnet den Zugriff auf alle Instrumente, die zur Bewältigung der beschriebenen Anforderungen erforderlich sind.

Aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung wird die Informationsbeschaffung und Verwertung künftig einfacher werden. Eine intelligente Nutzung der bereits heute verfügbaren wirtschaftlichen und technischen Daten wird dabei helfen, den versicherungswürdigen Bereich weltweit weiter einzugrenzen. Um diese Möglichkeiten in der Zukunft nutzen zu können, sollten sich die Unternehmen bereits heute vorbereiten. Hierzu gehört die Einführung und Etablierung von Systemen im Umfeld eines internationalen betrieblichen Versicherungswesens.

Markus Müller

Geschäftsführer Carl Jaspers,

www.carl-jaspers.de

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